MALI
...das Projekt
ein virtuelles
Notizbuch
November 97:
Wieder in einer Phase tiefer
Erschütterung; die Ränder meiner Grube ragen weit über meine
Ohren hinaus, und der Lichtschimmer dort oben ist kaum noch größer
als eine Briefmarke...
Wieder die gleichen Fragen, Ängste, Sehnsüchte - mit der Erfahrung
vieler Jahre anders formuliert - aber sie suchen stets die selben, immer noch
unbekannten, Antworten.
In vielen Anläufen, hinter zahllosen Masken weht mich immer
wieder so eine Ahnung von einem anderen Hier-Sein an. Einmal nur
aus diesem diffusen und doch marionettenhaften Da-Sein zu wahrem Hier-Sein
durchbrechen. Darüber läßt sich kaum reden und erst recht nicht
schreiben. Die Sehnsucht nach dem Anderen,mehr noch es zu erfahren,
das gehört zu den eigensten persönlichen Erlebnissen, und die lassen
sich nicht mitteilen, - nicht mit Worten, die schon lange vor dir da waren.
Also bräuchte es dafür eine eigens für diesen Zweck geschaffene
Sprache. Die aber wäre so subjektiv, daß sie keiner
verstde.
Ich brauchte viele Jahre, bis ich das kapiert hatte. Ich
balancierte stundenlang auf dem Schwebebalken des Konjunktivs, skizzierte mit
glänzenden Augen meine Vorstellungen von einem "sinnlichen, wirklich
erfüllten Hier-Sein" in den luftleeren Raum über den Köpfen
meines Publikums. Und das Unverständnis meiner Zuhörer war mir ein
wirkliches Rätsel.
Bin ich inzwischen klüger geworden? Wohl kaum, denn versuche ich es hier
nicht schon wieder?
Lassen wir das als kurze Einleitung mit Haftungsbeschränkung
stehen, womöglich will es auch nichts anderes sagen als:
"Lies' was jetzt folgt, stör'
dich nicht an Andeutungen, schiefen Metaphern und erst recht nicht daran,
daß du ein anderer sein müßtest, um den Sinn zu verstehen -
denn dem Verfasser, in dem sich diese Worte und Gedanken zusammenfinden, geht
es in seinem Da-Sein ebenso..."
* * *
Der Winter
ist nah - Afrika ist fern.
Noch vor wenigen Wochen träumte ich mich fast ans Ziel. So viel Aufbruch,
so viel Veränderung - sollte da denn die Welt nicht auch gleich eine
andere werden?
Und noch immer tobt der Sturm der letzten Monate in mir. Aber rundum ist es
still geworden. Nur ich habe es noch nicht bemerkt. Der Nebel hat sich als
schwere Decke uf meinen Blick gelegt. Ein paar Dächer nur und schon
fällt er ins Leere. Herbst.
Den Waldrand auf der Anhöhe kann ich nur erraten. Das matte Grau ist leer
und stumpf, keine Vögel, keine Geräusche, - der leichenblaße
Nebel ist die Leere selbst.
Gemächlich, unaufhaltsam streckt sie die feuchtkalten Finger aus und
schlüpft in alles hinein: - erst in den Blick, die Häuser... dann in
die Menschen. Ihre Sprache ist der schmerz, ihr Text die Angst!
Dies Schauspiel ist das Eintrittsgeld, alle Mühen, alle vorausgegangene
Begeisterung nicht wert!
Es hat keine Spannung, ist nicht dramatisch, nicht kämpferisch. Darin
kommen keine Helden vor und es gibt auch keine überraschenden Wendungen.
Vielleicht ist das die heimliche Macht des Herbstes: - er kriecht wie der
Nebel, wie der Tod mit jedem Atemzug in dich hinein, und plötzlich
beginnst du... erst zu rutschen ... - wenig später dann - ... endlos zu
fallen...
* * *
(Fortsetzung folgt)
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