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Es gibt Bücher, denen der Rezensent vielleicht nur dadurch gerecht wird, indem er jeden einzelnen Satz zitiert. Zu diesen Büchern gehören auch die Werke des französischen Dichters Saint-Pol-Roux (1861 bis 1940) — der Begriff des "Schriftstellers" wird ihm in seiner Sachlichkeit wohl nicht gerecht. Sein Werk wird seit Jahren vom Bayreuther Romanisten Franz Joachim Schultz übersetzt und in Kooperation mit
Rolf A. Burkart herausgegeben.
Anläßlich der Fassbinder-Ausstellung im Kleinen
Plakatmuseurn stellte er nun den siebten Band der auf 16 Bände angelegten
Werkausgabe vor, die sehr langsam und unsicher vorankommt: "Cinéma
vivant"—"Lebendiges Kino", enthaltend Aufzeichnungen der
späten zwanziger Jahre.
Wer sich im an Gedanken und Bildern überreichen Werk des höchst
eigenartigen Dichters auskennt, wird auch hier auf den Mittelpunkt seines
Lebensprojekts stoßen: — die Feier der Einbildungskraft, der Imagination.
Nun kommt es im technischen Gewand einherspaziert, welches sich um den
Körper des "Ideorealisators" legt. Was für ein Kino
hätten wir da zu erwarten, ginge es um den Verteidiger der Imagination: — eines, das im Kopf des Betrachters entsteht und im selben Augenblick wirklich
wird, eben das "lebendige" Kino, gegen welches das
augenblickliche noch pure Prähistorie sei. Was dem Kino fehle, sei
Plastizität, sei die Darstellung des "unsichtbaren
Lebens".
Wer wollte ihm da im Zeitalter einer scheinbar von Hollywoods Teenie-Kino
dominierten Ästhetik grundsätzlich widersprechen? Saint-Pol-Rouxs
Aufzeichnungen sind 70 Jahre alt, aber seine zwischen der Aufklärung und
der modernen Teilchenphysik vermittelnde Theologie des Kinos, die vom
Göttlichen des künstlerischen Schöpfungsakts noch weiß,
hat ihre Aktualität nicht verloren — wohl auch, weil sie letzten Endes
unrealisierbar ist.
Der Dichter wußte übrigens, wovon er träumte. Auch er ging des
öfteren ins Cinéma und sah sich Werke von Abel Gance, Sergej M.
Eisenstein und Walther Ruttmanns "Symphonie einer Großstadt"
an. Die Zukunft wurde bereits mitgedacht: "Diese herrliche Welt wird in
gewaltigen Städten spielen, Lichtgestalten, die so groß sind,
daß sie Millionen von Zuschauern sehen können." Daneben
entwickelte er seine Gedanken über das Licht (bezeichnenderweise
hießen die Erfinder des Films "Lumière", also
"Licht") und die Sonnenenergie — und auch in diesem Punkt zeigt sich
Saint-Pol-Roux als Vordenker einer Mensch, Geist und Natur harmonisierenden
Weltsicht, die erst das späte 20. Jahrhundert notgedrungen wiederentdecken
sollte.
"Das Kino steht erst am Anfang", schrieb
Saint-Pol-Roux. Darüber kann man immer noch streiten. Der neue Band der
Werkausgabe, typographisch wie immer großzügig ausgestattet, bietet
natürlich auch, da es um die Kunst des Sehens geht, etwas für das
äußere Auge.
Etliche Illustrationen zeigen sowohl Filmbilder als auch Dokumente der
frühen Kinotechnik, bis hinunter ins spannende 19. Jahrhundert. Der
Kommentar läßt auch diesmal nichts zu wünschen übrig.
Herausgekommen ist das, was man ein "schönes Buch" nennt:
— für Liebhaber des Kinos, der Literatur und des Schönen.
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