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SAINT-POL-ROUX
Werkausgabe in
16 Bänden

herausgegeben von
Rolf A. Burkart und Joachim Schultz




Der Poetische Wille zu Kosmischen Einheit

Jürgen Bräunlein
(Nürnberger Zeitung, 8. 5. 1993)

 

Saint-Pol-Roux: Rosenkreuzer, Seevogelzähmer, Schloßbauherr, Dichter mit überirdischem Sendungsbewußtsein.


Werkausgabe Band 2

EDITIONSPLAN

Bd. 1 VOM MAGNIFIZISMUS ZUM IDEOREALISMUS

DIE STATIONEN DER PROZESSION

Bd.2 I. DIE ROSE UND DIE DORNEN AUF DEM WEG

Bd.3 II VON DER TAUBE ZUM RABEN ÜBER DEN PFAU

Bd 4 III DIE ZAUBERSTÜCKE DER PHANTASIE

Bd. 5 DIE DAME MIT
DER SENSE

Bd.6 DIE TRADITIONEN DER ZUKUNFT

Bd.7 DER AUSFLUG

Bd. 8 TABLETTEN

Bd. 9 DIE TRAGIK DES MENSCHEN I und II

Bd. 10 DIE VERKLÄRUNG DES KRIEGES

Bd. 11 DER SCHATZ DES MENSCHEN

Bd. 12 RES POETICA oder DIE REPUBLIK DER POESIE

Bd. 13 IDEOREALITÄTEN

Bd. 14 GESCHWINDIGKEIT

Bd. 15 LEBENDIGES KINO

Bd. 16 BRIEFWECHSEL
SPR / VICTOR SEGALEN


weitere Infos:

LEBENSDATEN 

DER IDEOREALISATOR
SAINT-POL-ROUX -
„Der sanfte Avantgardist“

von Joachim Schultz


Saint-Pol-Roux & Breton
Spuren einer Bekanntschaft
von Rolf A. Burkart

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Er besaß den unbedingten Instinkt des Träumers und den kühlen Verstand des Konstrukteurs. Sein achttürmmiges, verwinkeltes Schloß in der Bretagne hat er selbst entwofen. Auch sonst hat er seine Umgebung konsequent nach den Kriterien der Extravaganz und der Ästhetik gestaltet. Er zähmte wilde Seevögell und war Mitbegründer eines Rosenkreuzerordens.

Das Manoir de Coecilian

   Sich selbst stilisierte er zum urwüchsigen Barden, und die Namen seiner Kinder sind reine Poesie: — Divine, Coecilian und Lorédan. Das war auch sein hochgestecktes Ziel: Kunst, Werk und Leben sollten eins sein, ein weit ausstrahlendes Gesamtkunstwerk, das der Endlichkeit trotzt.
   Dieser poetische Wille zur kosmischen Einheit, an dem der Dichter und Schloßherr Saint-Pol-Roux bis zu seinem Tod im Jahr 1940 eisern festhielt, es mußte freilich von der Nachwelt erst rekonstruiert werden. Denn zu Lebzeiten litt "Le Magnifique", wie sich Saint-Pol-Roux selbst nannte, an der Ignoranz seiner Zeitgenossen.Wie viele Schriftsteller auch heute noch verdiente er sein Brot mit verdeckten Karten, als Ghostwriter für literarische Dutzendware. Erst als die Surrealisten sich ihrer selbst bewußt werdend, nach einem geistigen Vater Ausschau hielten und den selbstbewußten Bilderstürmer öffentlich feierten, fiel etwas Ruhm auf Saint-Pol-Roux.
   Das war 1923, und der Dichter immerhin schon 64 Jahre alt. Saint-Pol-Roux ist aber auf alle Fälle mehr als ein Avantgarde des Surrealismus und auch mehr als ein sogenannter Symbolist. Sein Werk, soweit es uns erhalten geblieben ist und gegenwärtig in angestrebten 16 Bänden in deutscher Übersetzung herausgebracht wird, ist dann doch viel zu widerborstig für solche einfachen, traditionellen Schubladen.
   Das zeigt auch das Hauptwerk des Dichters, die Prosagedichte "Stationen der Prozession", dessen erster Band: "Die Rose und die Dornen auf dem Weg" jetzt erschienen ist. Wer sich in diesem Buch festliest, und das geschieht sehr schnell, bricht ein in eine Wunderwelt sprachlicher Kühnheiten und inhaltlicher Bizarrerien.

    Saint-Pol-Roux, der dichtende Schlafwandler und Visionär, tritt ins Gewimmel des Lebens und wird zum, "Arbeiter des Absoluten", zum Prometheus des Wortes: "Jeder neue Dichter ist eine verbesserte und vermehrte Neuauflagee Gottes." Saint-Pol-Roux flaniert als er selbst durch die Texte. Er begegnet Bettlern, schönen Frauen und ergebenen Anhängern. Er sucht sein verlorenes Lachen, gelangt ins Tal der Küsse, trifft auf die Blumen der Einsamkeit und auf einen Verrückten: "Wir tappten mitten durch die Metaphysik ."
   Der dichtende Märtyrer hält Zwiesprache mit dem Gekreuzigten, lebensgroße Sanduhren erheben sich melancholisch vor ihm, und noch die aufgehängte Wäsche der Mutter atmet die Seelen vergangener Generationen — eine Erinnerungsgeste wie von Proust. Das Buch enthält Anektdotisches und Märchenhaftes, Autobiographisches und Erträurntes, Gebete und Litaneien, Aphorismen und Minidramen. Verschraubt und von sperriger Schönheit ist die Syntax, verwegen die Bilder, das ungezwungene Spiel mit den Bausteinen der Sprache allemal beeindruckend und auch heute noch von imponierender Frische. Da springen Augen "wie Klappmesser auf", die Wäsche "hat ihre rosigen Arme ausgebreitet", und im Zugabteil kreuzen sich Blicke "wie Stricknadeln und stricken nach und nach ein unsichtbares Banner der Verbundenheit".

   Der Dichter mit dem überirdischen Sendungsbewußtsein, der sich allerdings nur "in einigen Augenblicken" für den "Protagonisten des großen Pan" hält erweckt noch einmal Goethes Traum: die Ideen hinter dem Schein der Dinge zu erkennen und mit den Mitteln der Poesie zu einem Ganzen zu spinnen. Eine Dichtungsauffassung, viel zu schön, um wahr zu sein, und heute längst ein anerkannter Anachronismus.
   Vielleicht ist aber das genau der Grund, warum die Texte von Saint-Pol-Roux in ihrer aufmunternder Pfiffigkeit und ihrer Skurrilität gerade jetzt so wirkungsmächtig sind.
Sein Buch nannte dieser Missionar des Schönen "ein Prisma der Seele" und sich selbst einen "Harlekin". Auch das natürlich eine eigenmächtige Stilisierung, freilich nicht die unsympathischste.

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