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Er besaß den
unbedingten Instinkt des Träumers und den kühlen Verstand des
Konstrukteurs. Sein achttürmmiges, verwinkeltes Schloß in der
Bretagne hat er selbst entwofen. Auch sonst hat er seine Umgebung konsequent
nach den Kriterien der Extravaganz und der Ästhetik gestaltet. Er
zähmte wilde Seevögell und war Mitbegründer eines
Rosenkreuzerordens.
Sich selbst stilisierte er zum urwüchsigen Barden, und die Namen seiner
Kinder sind reine Poesie: — Divine, Coecilian und Lorédan. Das war auch
sein hochgestecktes Ziel: Kunst, Werk und Leben sollten eins sein, ein weit
ausstrahlendes Gesamtkunstwerk, das der Endlichkeit trotzt.
Dieser poetische Wille zur kosmischen Einheit, an dem der Dichter und
Schloßherr Saint-Pol-Roux bis zu seinem Tod im Jahr 1940 eisern
festhielt, es mußte freilich von der Nachwelt erst rekonstruiert werden.
Denn zu Lebzeiten litt "Le
Magnifique", wie sich Saint-Pol-Roux selbst nannte, an der
Ignoranz seiner Zeitgenossen.Wie viele Schriftsteller auch heute noch verdiente
er sein Brot mit verdeckten Karten, als Ghostwriter für literarische
Dutzendware. Erst als die Surrealisten sich ihrer selbst bewußt werdend,
nach einem geistigen Vater Ausschau hielten und den selbstbewußten
Bilderstürmer öffentlich feierten, fiel etwas Ruhm auf
Saint-Pol-Roux.
Das war 1923, und der Dichter immerhin schon 64 Jahre alt. Saint-Pol-Roux ist
aber auf alle Fälle mehr als ein Avantgarde des Surrealismus und auch mehr
als ein sogenannter Symbolist. Sein Werk, soweit es uns erhalten geblieben ist
und gegenwärtig in angestrebten 16 Bänden in deutscher
Übersetzung herausgebracht wird, ist dann doch viel zu widerborstig
für solche einfachen, traditionellen Schubladen.
Das zeigt auch das Hauptwerk des Dichters, die Prosagedichte "Stationen der Prozession", dessen erster
Band: "Die Rose und die Dornen auf dem
Weg" jetzt erschienen ist. Wer sich in diesem Buch festliest, und
das geschieht sehr schnell, bricht ein in eine Wunderwelt sprachlicher
Kühnheiten und inhaltlicher Bizarrerien.
Saint-Pol-Roux, der dichtende Schlafwandler und Visionär, tritt ins
Gewimmel des Lebens und wird zum, "Arbeiter des Absoluten",
zum Prometheus des Wortes: "Jeder neue Dichter ist eine verbesserte und
vermehrte Neuauflagee Gottes." Saint-Pol-Roux flaniert als er selbst
durch die Texte. Er begegnet Bettlern, schönen Frauen und ergebenen
Anhängern. Er sucht sein verlorenes Lachen, gelangt ins Tal der
Küsse, trifft auf die Blumen der Einsamkeit und auf einen Verrückten: "Wir tappten mitten durch die Metaphysik ."
Der dichtende Märtyrer hält Zwiesprache mit dem Gekreuzigten,
lebensgroße Sanduhren erheben sich melancholisch vor ihm, und noch die
aufgehängte Wäsche der Mutter atmet die Seelen vergangener
Generationen — eine Erinnerungsgeste wie von Proust. Das Buch enthält
Anektdotisches und Märchenhaftes, Autobiographisches und Erträurntes,
Gebete und Litaneien, Aphorismen und Minidramen. Verschraubt und von sperriger
Schönheit ist die Syntax, verwegen die Bilder, das ungezwungene Spiel mit
den Bausteinen der Sprache allemal beeindruckend und auch heute noch von
imponierender Frische. Da springen Augen "wie Klappmesser
auf", die Wäsche "hat ihre rosigen Arme
ausgebreitet", und im Zugabteil kreuzen sich Blicke "wie
Stricknadeln und stricken nach und nach ein unsichtbares Banner der
Verbundenheit".
Der Dichter mit dem überirdischen
Sendungsbewußtsein, der sich allerdings nur "in einigen
Augenblicken" für den "Protagonisten des großen Pan"
hält erweckt noch einmal Goethes Traum: die Ideen hinter dem Schein der
Dinge zu erkennen und mit den Mitteln der Poesie zu einem Ganzen zu spinnen.
Eine Dichtungsauffassung, viel zu schön, um wahr zu sein, und heute
längst ein anerkannter Anachronismus.
Vielleicht ist aber das genau der Grund, warum die Texte von Saint-Pol-Roux in
ihrer aufmunternder Pfiffigkeit und ihrer Skurrilität gerade jetzt so
wirkungsmächtig sind.
Sein Buch nannte dieser Missionar des Schönen "ein Prisma der
Seele" und sich selbst einen "Harlekin". Auch das natürlich
eine eigenmächtige Stilisierung, freilich nicht die unsympathischste.
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