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Selber schuld, denkt sich der Moderne Kritiker, und
formuliert den feinen Satz: Die aber, die ihn kennen, wissen, warum sie ihn
schätzen, gar lieben! Der Bayreuther Romanist, Schriftsteller,
Museumsdirektor und Übersetzer Franz Joachim Schultz ist einer von ihnen.
1985 startete er — Halleluja! — zusammen mit dem Verleger Rolf A. Burkart die
deutsche Ausgabe von Meisters Werken, nun liegt der achte Band vor. Geht es in
diesem Schneckentempo weiter (und man kann nur hoffen, daß es
überhaupt weitergeht) dann wird die erste deutsche Werkausgabe des
französischen Poetetn in 16 Jahren vollendet sein. Schon der Dichter
wußte, wie das Wort "Geduld" buchstabiert wird.
Lob und Ehre sei also dem Centre National de Lettres zu Paris, wo dem Dichter
unwohl war und heute das Übersetzungs-Unternehmen
deutsch-französisch-freundschaftlich unterstützt wird.
Saint-Pol-Roux, geboren 1861, gestorben 1940 an den Folgen eines deutschen
Überfalls, gehört, wie es ordentlich heißen muß, zu den
faszinierendsten Gestalten der französischen Literaturgeschichte:— früher Symbolist, Vorläufer der Surrealisten, war er ganz und gar
eigenständig in seiner Ideenwelt und permanenten Inspiriertheit.
Mensch, Natur, Kosmos, Idee alles eins, alles idealistisch,
und alles, da kann man als Rationalist noch so skeptisch sein, gut und richtig.
Im Geiste des "Ideorealismus " schuf er ein phantasievolles Gemisch
aus poetisch-präziser Beobachtung, Reflexion, Einfall, Witz und
Denkbewegung — allein Saint-Pol-Roux' Prosa ist kein theoretisch-trockenes
Anthroposophenraunen, sondern immer höchst anschaulich.
Auch im zweiten Band der Trilogie "Die Stationen
der Prozession" geht es um durchaus Sinnliches: um Tiere, das
Meer, die Kinder. Man riecht förmlich den Seetang der in einem grandiosen
Kapitel geschnitten und gerupft wird. Das Lob über die Bretonen ist
gewürzt mit dem milden Spott, den der Ideensucher und -finder seiner
Schönheitsbetrachtung aufpfropfte, denn, so der Optimist: "Die
Schönheit ist die Verherrlichung der Wahrheit." Daß man in
"so manchen Dörfchen am Meer alle Blicke, alle Grimassen, alle
Lächeln der Welt" zu entdecken vermag, ist bezeichnend — nie hat
man den Eindruck, daß ein poetisierender Spinner aus Versehen zum
Federkiel gegriffen hat. Zum Exempel: "Sei verflucht, einfältiger
Pädagoge, jedes deiner Nasenlöcher ein Tabakladen, sei verflucht
dafür, daß du unsere Kindheit lehrtest, Schande zu empfinden
darüber, ein hübsches Mädchen beim Vorübergehen zu
betrachten! Ein hübsches Mädchen, das vorübergeht, aber das ist
doch der liebe Gott, der einen Spaziergang macht!" Und so was
muß 97 Jahre ...auf die, deutsche Veröffentlichung ,warten?— Während anderes Zeug..., aber meckern wir nicht, freuen wir uns an den
Trouvaillen des wahren Dichters (wie es wohl ein Saint-Pol-Roux genannt haben
würde), an den Schätzen der Beobachtungskunst, an den Bildern, die
nur ein ordentlicher, stubenreiner Professor als "gewagt" bezeichnen
würde, an den Sprachjuwelen, die nur darauf warten, von einem
enthusiasmierten Publikum (auf)gelesen zu werden. Und beten wir, daß
Saint-Pol-Roux am Ende doch noch recht behält:
"Oh! Eines schönen Tages, irgendwann, wenn ich seit langer Zeit
aufgehört habe zu leben, und wenn die Tochter meiner Tochter Mutter oder
gar Großmutter ist, oh!, eines schönen Tages, irgendwann, meinen
Namen in den unbedeutenden Büchern der Erstkläßler zu
finden!"
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